Eine Jahrhundertdichterin
Die große Dichterin Friederike Mayröcker (1924-2021) hätte am 20. Dezember 2024 ihren hundertsten Geburtstag gefeiert. Dabei wollte sie zweihundert Jahre alt werden, so reich an möglichen Erfahrungen erschien ihr die Welt. Ihre Erscheinung faszinierte Menschen weit über den engeren Kreis an Leser*innen hinaus. Ihre Radikalität, die Wirklichkeit in Sprache umzusetzen, bestimmt ihr ganzes Schreibleben.
Das Lebens-und Schreibuniversum der 1924 in Wien geborenen Friederike Mayröcker , die 2021 im Alter von 96 Jahren starb, besitzt weit über die Literatur hinaus Kultstatus. Gibt es doch kaum eine vergleichbare Künstler*innenexistenz: Schreiben, Wohnen und Leben bildeten eine geistige und räumliche Einheit. Der permanente Austausch zwischen den Bereichen war die Voraussetzung für ein einzigartiges poetisches Lebenswerk: „nicht nur das Geschriebene auch die Existenz muss poetisch sein“ heißt es in cahier, poetischen Aufzeichnungen zwischen Prosa und Lyrik.
Die Bedeutung Friederike Mayröckers lässt sich an einem kaum mehr überblickbaren Lebenswerk ablesen. Sie veröffentlichte seit den 1950er Jahren über 120 Bücher in ihrem Stammverlag Suhrkamp und einer Reihe anderer Verlage sind mehrere Dutzend lieferbar, darunter Gesamtausgaben der Gedichte und der Prosa, hinzu kommen Radioarbeiten, Theaterstücke, ein gemeinsam mit Ernst Jandl und Heinz von Cramer produzierter Film, sowie Hör-CDs.
Auch Kinderbücher hat sie geschrieben. Unter den vielen Preisen, die sie erhalten hat, ist der Georg- Büchner- Preis (2001), der Österreichische Buchpreis (2016) und der Günter-Eich-Preis (2017) hervorzuheben.
Ihre Ansprüche an das Schreiben werden aus folgendem Zitat deutlich „(...) du mußt etwas wagen wenn du arbeitest, sage ich, du mußt etwas einsetzen, nämlich dein Leben, deine Gesundheit, du mußt tollkühn vorgehen, ich glaube tollwütig, sage ich (…)!
Eine Sonderausstellung im Literaturmuseum der Nationalbibliothek in Wien widmet sich dieser „Jahrhundertdichterin“. Erstmals gezeigte Manuskripte, Zeichnungen und Fotografien werden hier ausgestellt. In einem Begleitband zur Ausstellung, der den Titel trägt „ich denke in langsamen Blitzen“, sind Beiträge von Autor*innen, Weggefährt*innen und Kenner*innen des Werkes von Friederike Mayröcker gesammelt.
Aus diesem beeindruckenden Band stammen auch die Fotos, die wir hier zu Dokumentationszwecken abfotografiert haben.
„ich denke in langsamen Blitzen“ Friederike Mayröcker Jahrhundertdichterin. Herausgegeben von Bernhard Fetz, Katharina Manojlovic und Susanne Rettenwander ist erschienen in der Buchreihe Profile im Paul Zsolnay Verlag Wien 2024.
Die Ausstellung ist noch bis zum 16.Februar 2025 zu sehen.
Ausgewählte Werke:
- Larifari, ein konfuses Buch, Wien. Bergland 1956
- Die Abschiede. Frankfurt am Main. Suhrkamp Verlag 1980
- Mein Herz, mein Zimmer, mein Name, Frankfurt / M. Suhrkamp 1988
- Magische Blätter. Fünf Bände. C. Suhrkamp 1983-1999
- Winterglück, Gedichte 1981-1985. Frankfurt / M. Suhrkamp 1986
- brütt oder die seufzenden Gärten. Frankfurt / M. Suhrkamp 1998
- Requiem für Ernst Jandl. Frankfurt / M. Suhrkamp 2001
- Und ich schüttelte einen Liebling. Frankfurt / M. Suhrkamp 2005
- Scardanelli. Frankfurt / M. Suhrkamp 2005
- études. Berlin. Suhrkamp 2013
- cahier. Berlin. Suhrkamp 2014
- fleurs. Berlin. Suhrkamp 2016
- da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete. Berlin Suhrkamp 2020
- Friederike Mayöcker& Andreas Grunert, Ein Nervensommer. Bild-Text-Zyklus. Künstlerbuch. Maro Verlag Augsburg 2024
- Gesammelte Gedichte 2004-2021. Berlin. Suhrkamp 2024
In all diesen Gedichten von Friederike Mayröcker wird ihre Sprachlust deutlich spürbar, ihre Kunst, die Weltdinge zu formen – und all das für ihre Lesenden erfahrbar werden zu lassen. Das machte ihre Gedichte so großartig.
Auszug aus der Trauerrede von Marcel Beyer, gehalten am 17. Juni in Wien:
„Wir müssen uns anstrengen, wir müssen eine Weg finden, jeder für sich, also alle gemeinsam, um von nun an auf neue Weise in ihrem Werk zu versinken, mit Haut und Haar, so wie sie im Leben mit Haut und Haar in das Schreiben versunken ist - in einer Poesie, die ihresgleichen nicht hat in dieser Welt“.
(Die Trauerrede von Marcel Beyer ist abgedruckt in dem Begleitband zur Sonderausstellung „ich denk in langsamen Blitzen“.